03.06.2009

Financial Times Deutschland - "Klimawandel - Sylter Mulde wird Weinberg"

Von Kai Schöneberg

Wattenmeer und Reetdachhäuser: Bislang ist Keitum ein so romantisches wie teures Friesendorf auf Sylt. Nun wird das Idyll um eine Attraktion reicher: "55 Grad Nord" heißt der Wein, der ab Donnerstag in Keitum wachsen soll. Damit wird die Nordseeinsel - die auf dem 55. Breitengrad liegt - zum nördlichsten Weinanbaugebiet der Republik.

Einheimische haben Stefan und Christian Ress vor dem insularen "Schietwetter" gewarnt. Doch die Winzer aus dem Rheingau wollen trotzdem auf Deutschlands nördlichster Insel Wein anbauen. Derzeit pflanzen Vater und Sohn auf Sylt auf rund 3000 Quadratmetern 1600 Rebstöcke. "Wegen der steifen Brise haben wir eine Mulde für die Reben gewählt, vielleicht pflanzen wir auch noch eine Hecke an", sagt Christian Ress, Der 35-Jährige, in fünfter Generation Winzer, spricht von einer "Pioniertat". Und davon, dass die Weinaktion auch scheitern könnte.

Ab 2012 oder 2013 sollen die ersten Trauben geerntet, im Weingut in Süddeutschland gekeltert und dann zum ersten schleswig-holsteinischem Landwein verarbeitet werden. Kostenpunkt: ab etwa 25 Euro pro Flasche.

Wein vom 55. Breitengrad: In drei Jahren ist der Tropfen aus Sylt im Handel, schon jetzt gibt es eine Spezialabfüllung

Neben 500 Riva- sollen vor allem die 1100 Solaris-Rebstöcke dem Inselwetter trotzen. Die robuste, krankheitsresistente Neuzüchtung ergibt besonders fruchtige Gaumenkitzler mit relativ geringem Säuregehalt, sagt Winzer Ress.

Resistente Reben sind nötig: In Sylt scheint zwar relativ häufig die Sonne, aber die Jahresdurchschnittstemperatur liegt trotzdem nur bei 8,4 Grad Celsius. Das sind 1,5 Grad weniger als im Rheingau.

Wegen der Witterung wird der Wein aus Keitum zwei Wochen Vegetationsrückstand gegenüber seinen Kollegen aus dem Süden haben. Der Inselboden mit lehmigem Sand und hohem Humusgehalt sei jedoch "grundsätzlich als geeignet anzusehen", heißt es in einem eigens angefertigten Weinbaugutachten über Sylt.

Der Sylter Tropfen ist eine weitere Etappe im Ringen um den nördlichsten Weinberg der Republik. Diesen Titel hatte bis zur Wende der Ausflugsort Königswinter bei Bonn inne. Der politische Wandel brachte Weinkennern auch neue Geschmäcke: 1991 ließ die EU den Werderaner Wachtelberg bei Potsdam als nördlichstes Weinanbaugebiet Europas für die Produktion von Qualitätsweinen zu. Das dortige Klimafolgenforschungsinstitut prognostiziert heute den Brandenburgern sogar gute Chancen für den Anbau hochwertiger Riesling-Weine. Die Lage am 52. Breitegrad, der von Werder Richtung Ärmelkanal verläuft, galt für Experten lange als "nördlicher Polarkreis" des Weines, eine Spitzenlage für den Riesling ist dagegen das Gebiet um Mosel, Saar und Ruwer am 50. Breitengrad.

Das war nicht immer so: Bis ins 16. Jahrhundert hinein wurde sogar in Bad Doberan an der Ostsee oder auch im Süden Englands Wein angebaut. Die Weinhügel im Norden wurden nach Kälteeinfällen aufgegeben.

Der Weinäquator wanderte weiter: Mittlerweile sorgt immer milderes Klima dafür, dass der durchschnittliche Erntebeginn in deutschen Mittellagen rund drei Wochen früher liegt als vor 50 Jahren. Auch in Hitzacker an der niedersächsischen Elbe oder im Stargarder Land in Mecklenburg-Vorpommern wird heute Wein gelesen.

Und sogar die Hamburger Bürgerschaft verfügt inzwischen über einen eigenen Weinberg am Elbhang von St. Pauli. Daraus entsteht ein Verschnitt aus weißer Phönix- und roter Regenttraube. Die gibt es allerdings nicht im Handel: Der Hamburger Cuvée lagert für besondere Anlässe im Keller des Stadtparlaments.

Und nun also Keitum. Damit hat Sylt zwar den nördlichsten Weinberg Deutschlands. Aber es geht noch unwirtlicher: Seit 2000 ist auch eine 99 Hektar große Rebfläche in Dänemark von der EU als Weinbaugebiet anerkannt.

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