Ökologischer Weinbau

Christian Ress ist heute mehr als Unternehmer in der Weinbranche unterwegs als Winzer. Doch bereits als kleiner Junge ist er von Pflanzen fasziniert. Was mit einem kleinen Kräutergarten in einem aufgeschnittenen Holzfass startet, später mit einem kleinen Gewächshaus als großer Weihnachtswunsch erweitert wird, mündet schließlich in einen respektablen Gemüsegarten auf einem Nachbargrundstück, aus dem die Familie fortan unter anderem mit Salat, Tomaten und Zucchinis versorgt wird. Der Einsatz von Gift in seinem eigenen Garten widerstrebt Christian Ress schon damals. Er experimentiert bereits im Grundschulalter mit biologischem Pflanzenschutz, holt sich Rat bei den lebenserfahrenen Schwestern seines Großvaters, die seit Jahrzehnten Obst und Gemüse im eigenen Garten kultivieren. Im Alter von 7 Jahren geht er zur nahegelegenen Tankstelle und kommt mit einem Sixpack Bier zurück, was wahrscheinlich zu besorgtem Stirnrunzeln in der Nachbarschaft geführt hat. Er setzt das Bier im Garten gegen Schnecken ein und den Brennnesselsud gegen Blattläuse.

In Vorbereitung auf die Tätigkeit im elterlichen Weingut arbeitet Christian Ress während seiner Schulzeit in den Weinbergen des eigenen Weingutes sowie befreundeter französischer Weingüter und in einer Rheingauer Gärtnerei. Während und nach seiner Studienzeit engagiert er sich in großen Betrieben in Franken und Bordeaux. Nirgends spielt ökologische Landwirtschaft eine Rolle. Den Weinbau lernt Christian über viele Jahre als "konventionelle Landwirtschaft" kennen - im eigenen wie auch in den befreundeten Betrieben - und gewöhnt sich an diese Arbeitsweise, die bis heute auf der ganzen Welt im Weinbau weiterhin "Standard" ist.

2009, ein Jahr vor der bereits seit langem von Stefan Ress geplanten Übergabe der Geschäftsführung des Weingutes an seinen Sohn Christian, veröffentlicht die Fachzeitschrift „Chemical Research in Toxicology“ eine Studie über Experimente mit verschiedenen glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln und menschlichen Zellen. In ausreichender Konzentration verabreicht kommt es zum Tod der Zellen. Die Autoren der Studie schließen daraus auf mögliche Gesundheitsgefahren für den Menschen. Christian Ress liest darüber in der Presse. Angesichts der 2010 anstehenden Übernahme der vollen, auch formellen Verantwortung für jegliches Handeln im Weingut ist er beunruhigt. Der Gedanke im kommenden Jahr als Geschäftsführer den Einsatz möglicherweise krebserregender Unkrautvernichtungsmittel anzuweisen, die nicht zuletzt auch seine Mitarbeiter gefährden könnten, besorgt ihn in hohem Maße und schürt sein Interesse an Alternativen - so wie bereits vor 30 Jahren in seinem Gemüsegarten.

Als Geschäftsführer ist im Jahr 2010 eine seiner ersten wegweisenden Entscheidungen der sofortige Verzicht auf dieses Gift. Es erfolgt eine Umstellung auf mechanische Wildkräuterbekämpfung statt der chemischen. Der Begriff "Unkraut" verschwindet sukzessive aus dem Wortschatz des Teams.

Christian Ress befasst sich mit dem Gedanken weitere Schritte zu gehen, möglicherweise in Richtung eines ganzheitlichen ökologisch zertifizierten Weinbaus. Mangels eigener Erfahrung im Ökoweinbau verändert er die Zusammensetzung des Weinbauteams und holt sich Mitarbeiter mit Ökoerfahrung an die Seite, die sich in Ruhe und  unter Abwägung aller Risiken - auch der wirtschaftlichen – mit dem Thema befassen. Der Verzicht auf Glyphosat zeigt deutlich, dass die neue Arbeitsweise ihren Preis hat, nämlich höhere Produktionskosten. Um nachhaltig arbeiten zu können braucht es ausreichend hohe Gewinne: ohne Gewinn keine Investitionen und damit keine Zukunft. Und so tasten sich Christian Ress und sein Team über mehrere Jahre Parzelle für Parzelle an das Thema heran, an die daraus resultierende Mehrarbeit, an die involvierten Kosten, an die Auswirkung auf die Erträge und die Weine selbst und an die Reaktion der Kunden, von denen sie sich die  Bereitschaft erhoffen, nach und nach höhere Preise für Balthasar Ress Weine zu bezahlen.

Christian Ress und sein Team schöpfen in diesem Prozess Mut aus den vielen positiven Erfahrungen und lassen sich durch ebenfalls vorhandene Rückschläge nicht vom gemeinsamen Ziel abbringen. Im Laufe der Zeit sieht man den Weinbergen  an, dass die Natur wieder etwas mehr Einfluss gewonnen hat. Man riecht und spürt förmlich, dass sie weniger unterdrückt wird wie zuvor und dass landwirtschaftliche Monokultur entgegen dem allgemeinen Glauben auch in größerem Einklang mit der Natur möglich ist.

2016 fühlt sich das Team endgültig gerüstet für die Umstellung des kompletten Betriebs von damals bereits rund 45 Hektar. Kein Betrieb  dieser Größe im Land Hessen hatte sich bis dato diese Aufgabe  zugetraut. Weinbaubetriebe, die auf ökologische Landwirtschaft umstellen, erhalten 3 Jahre lang finanzielle Unterstützung, um die Kosten der Umstellung zumindest zu einem Teil zu kompensieren. Und so wird der Antrag auf Zertifizierung und Förderung als Öko-Betrieb gestellt - ausgerechnet im Jahr 2016. Die wochenlangen Niederschläge dieses Jahres gepaart mit warmen Temperaturen führen zu einem historisch hohen Befall von Peronospora,  dem falschen Mehltau, einer der großen Herausforderungen im Ökoweinbau. Ernst Büscher vom Deutschen Weininstitut spricht davon, dass "der Befallsdruck seit Jahrzehnten nicht mehr so hoch gewesen sei“. Es gibt kein Zurück: das Jahr 2016 wird zur Feuertaufe. Als dieser ungewöhnlich komplizierte Jahrgang mit seinen Ernteausfällen überstanden und aufgearbeitet ist, ist  das Team um Christian Ress mehr denn je für die neue Arbeitsweise gerüstet.

Durch die ökologische Bewirtschaftung der Weinberge wird ein sich selbst regulierendes Ökosystem gefördert, das ganz ohne chemisch-synthetische Substanzen wie z.B. giftige Herbizide oder Pestizide auskommt. Das große Ziel beim Öko-Weinbau ist der Aufbau und die Aufrechterhaltung  eines ausbalancierten Ökosystems durch  einen Kreislauf im Weinberg.

„Man sieht, ob ein Weinberg ökologisch bewirtschaftet wird oder nicht. Öko-Reben haben kleinere Blätter mit einer anderen Struktur.  Sie sind viel rauer und dicker als Blätter im konventionellen Weinbau. Vergleicht man die Blätter, so fühlt es sich so an als ob jemand gesunde Nahrung isst oder nur Fastfood zu sich nimmt. Die Blätter sind schlaff und sehr groß, was  untypisch für Riesling ist. Bei uns sind die Blätter ganz klein, weil die Rebe viel mehr arbeiten muss, um gegen die Pilzkrankheiten anzukämpfen. Sie ist viel mehr beschäftig, wie wenn man vergleichsweise ein  Antibiotika gibt. Dadurch leben die Reben natürlich auch länger und geben eine viel bessere Qualität ab.“ Davon ist Tim Knauer, Außenbetriebsleiter bei Balthasar Ress überzeugt.

Den Alltag der Außenbetriebsmannschaft von Balthasar Ress prägen fortan die vier wichtigen Aspekte des Öko-Weinbaus:

Dünge- und Kompostmanagement

Eine harmonische Nährstoffversorgung ist eine wichtige Voraussetzung für die Gesundheit der Rebe und die Qualität des Weines. Durch Maßnahmen wie die ganzjährige Begrünung mit verschiedenen Pflanzen beeinflusst das Team von Balthasar Ress den Anteil organischer Substanz im Boden positiv und fördert dadurch natürliche Lebensgemeinschaften und ein aktives Bodenleben.

Der Bodenfruchtbarkeit kommt durch den Verzicht auf Mineraldünger eine ganz besondere Bedeutung zu. Die entscheidende Rolle spielen die Milliarden von Mikroorganismen, die die ständigen Aufbau- und Umbauprozesse im Boden steuern. Ein fruchtbarer Boden hat eine gute Bodenstruktur und verhindert damit auch Erosion, was wiederum Gewässer und  Grundwasser schützt.

Tim Knauer beschreibt seine Vorstellung von einem guten Boden anschaulich so: „Der Boden soll lebendiger sein als ein Freitagabend auf der Wiesbadener Weinwoche.“

Begrünungsmanagement

Eine artenreiche, blühende Begrünung ist elementarer Baustein ökologisch bewirtschafteter Weinberge.

"Wir fahren das volle Programm: Kräuterarten wie Luzerne, Blumen, Mohn, wilde Möhren, Kümmel. Jede Blume blüht zu einer anderen Zeit und so haben wir immer Blumen, die blühen und verblühen. Das macht einen richtig aktiven und lebendigen Weinberg. Die bisherige Schule war es, einfach nur Rasen einzusäen. Wenn man sich z.B. einen Fußballplatz vorstellt: wie viele Bienen und Wespen schwirren da herum?! Richtig, gar keine!“, erläutert Außenbetriebsleiter Tim Knauer eindrücklich das Begrünungsmanagement und ergänzt: „Wir sind nicht nur Gastgeber für unsere Kunden, sondern wir sind auch Gastgeber für Insekten. Im Weinberg haben wir so ein richtiges Halligalli, ein kleines Paradies“.

Dass sich die Insekten in den Ress´schen Weinbergen wohlfühlen, wird durch einen ganz besonderen Gast sichtbar: Vor einigen Jahren quartierten sich Wildbienen ein. Diese Wildbienenkolonie ist vom Balthasar Ress Team mittlerweile sicher zum Weingut gebracht worden, wo die Wildbienen bis heute -  unterstützt durch einen Imker -  leben und fleißig Honig produzieren.

Die Begrünungen im Sommer werden auch als Konkurrenz zur Rebe eingesetzt, um ihr Wachstum zu bremsen  und die „Konzentration“ der Rebe auf die Trauben zu lenken. Die Winterbegrünung, die im Frühjahr umgebrochen wird, hat dagegen die Aufgabe, die Rebe mit Nährstoffen zu versorgen.

Pflanzenschutz

Grundlage des Pflanzenschutzes im ökologischen Weinbau ist die Förderung der Pflanzengesundheit durch natürliche Selbstregulierung. Im Gegensatz zur konventionellen Arbeitsweise wird im Ökoweinbau mehr vorgebeugt als kuriert.

Ein ausgewogenes Wachstum und eine luftige Laubwandstruktur helfen, den Rebstock gesund zu erhalten. Nistmöglichkeiten und Blühstreifen ziehen Nützlinge an und tragen zu einem stabilen Ökosystem bei. Als Pflanzenstärkungsmittel wird  auf Gesteinsmehle, Molkepulver oder Pflanzenextrakte zurückgegriffen. Die Vermehrung des Traubenwicklers als bedeutender tierischer Schädling wird mit der Pheromon-Verwirrmethode unterdrückt ohne ihn abzutöten. Die kleinen braunen Ampullen im Weinberg zeugen von der Anwendung dieser Methode.

Tim Knauer erklärt es wieder anschaulich: „Wer schlau ist, isst doch auch zur Erhöhung der eigenen Widerstandskraft Zitrone und Karotte, um Vitamine zu sich zu nehmen und greift nicht gleich zum Antibiotikum, wenn er erkältet ist. Genau so machen wir es im Weinberg.“

Ganz kommt der ökologische Weinbau allerdings auch nicht ohne Pflanzenschutzmaßnahmen aus. Es gibt eine sehr begrenzte Auswahl von  im Öko-Weinbau zugelassenen Mitteln, deren Einsatz streng reglementiert ist. Die wichtigsten Mittel zur Bekämpfung von Pilzerkrankungen sind Netzschwefel, Kupferpräparate und Backpulver. „Obwohl man natürlich sagen muss, dass Kupfer und Schwefel auch nicht die perfekten Mittel sind“, gibt Tim Knauer zu, „aber nach heutigem Stand gibt es einfach aktuell noch nichts anderes, was man stattdessen verwenden könnte. Kupfer und Schwefel sind zwei der ältesten Präparate überhaupt im Weinbau. Andere Mittel wirken übrigens oft schon nicht mehr, weil mache Pilze Resistenzen aufgebaut haben. Gegen Kupfer und Schwefel gibt es dagegen keine Resistenz.“

Auf synthetisch hergestellte Pestizide wird im Öko-Weinbau vollständig verzichtet - im Dienste der Gesundheit von Mensch und Natur.

Laubarbeiten

Termingerechte Laubarbeiten, die auf eine gut belichtete und lockere Laubwand abzielen sind von großer Bedeutung. Kümmertriebe, Wasserschosse sowie Stamm- und Wurzeltriebe werden hierzu entfernt, Neutriebe in ein  Drahtgestell eingewickelt statt sie zu kürzen, um auf diese Weise Infektionen mit Krankheitserregern vorzubeugen. „Hierfür gehen wir im Weinberg bis zu vier Mal in einer Saison durch eine Zeile“, veranschaulicht Tim Knauer den Umfang dieser Arbeit.

Zu viele Blätter, die zu einer Verdichtung der Laubwand und damit zu einer verringerten Belüftung der Traubenzone führen, erhöhen das Risiko für Pilzkrankheiten und damit  auch für faule Trauben. Daher wird sowohl maschinell wie manuell entblättert. Im Zuge des Klimawandels braucht es viel Fingerspitzengefühl. Denn zur Vermeidung von Sonnenbrand wird nur die nach Osten gerichtete Laubwandseite entblättert, auf die die Morgensonne trifft. Morgens sind die Trauben noch kühl von der Nacht und damit weniger anfällig für Sonnenbrand, den es zu vermeiden gilt. Die westliche Seite dagegen lässt man zum Schutz vor der heißen Nachmittagssonne eher unberührt.

„Das Resultat der ökologischen Arbeitsweise sind gesunde und starke Trauben mit härteren und festeren Schalen, die ein besseres, intensiveres und konzentrierteres Aroma aufweisen.“ fasst Tim Knauer das Ergebnis zusammen, „Alles was man für einen feinen Wein benötigt, ist in und auf den Beeren. Denn direkt unter der Beerenhaut, also zwischen der Haut und dem Fruchtfleisch befinden sich sämtliche Aromen und Farbstoffe und auf der Beerenhaut die Hefen.“

Christian Ress hält den eingeschlagenen Weg mittlerweile für unumkehrbar. "Nicht nur dass wir es hier endlich mit einem richtigen und wichtigen globalen Megatrend zu tun haben", sagt er. "Ich halte es einfach für grundfalsch, ein Luxusprodukt - und das ist Wein nun mal - für wenige privilegierte Konsumenten auf Kosten der natürlichen Ressourcen der Allgemeinheit herzustellen." Auch das gesamte Balthasar Ress Team an seiner Seite, mag sich heute keine andere Art des Arbeitens mehr vorstellen. Ökologisch zu arbeiten ist eine Lebenseinstellung. Wir wollen mit der Natur und nicht gegen sie arbeiten. Aus Respekt.

Und so gelingt es pünktlich im Jubiläumsjahr 2020 - das Jahr in dem das 150jährige Bestehen begangen wird - den ersten Balthasar Ress Wein mit dem EU-Öko-Siegel auf den Markt zu bringen. Denn nur wo Öko draufsteht, ist auch wirklich Öko drin! Darauf kann sich der Konsument nun bei Balthasar Ress verlassen.

Wer hätte gedacht, dass die damalige Maxime des Gründers „Rein Sei Der Wein!“ vorweggenommen hat, was Generationen später wieder so trefflich passt.

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