29.10.2010
Die Welt "Teurer Tropfen"
Pressestimmen
Das erste Indiz war der Federweißer. Traditionell ist der neue Wein eines jeden Jahres in Deutschland ab Anfang September bis weit in den Oktober hinein zu haben. Zusammen mit einem Stück Zwiebelkuchen wird dieser gerade vergorene Traubenmost - je nach Landstrich auch „Rauscher“, „Bitzler“ oder „Bremser“ genannt - gern auf den vielen Weinfesten konsumiert, die im Herbst in mehreren Regionen nahezu im Wochentakt stattfinden.
Diesmal allerdings blieb die Suche nach dem leicht prickelnden Getränk meist vergeblich - Federweißer war bereits ab Ende September so gut wie nicht mehr zu finden, und wenn doch, war er zuvor oft aufwendig aus Südtirol herbeigeschafft worden. Es war, wenn man so will, der erste sichtbare Beleg für die Verbraucher, wie schlecht es um die deutsche Weinernte des Jahres 2010 bestellt sein musste. Denn je knapper die gereifte Traubenmenge, desto schwerer tun sich die Winzer, einen Teil ihrer Ernte für ein Produkt abzufüllen, das im Supermarkt bereits für ein bis zwei Euro je Flasche zu haben ist. „Wer es sich leisten kann und nicht an entsprechende Verträge gebunden ist, verzichtet in einem solchen Jahr ganz einfach darauf, Federweißer anzubieten“, erklärt Stefan Ress, Seniorchef des Hattenheimer „Traditionsweinguts Balthasar Ress“ und Präsident des Rheingauer Weinbauverbandes, das knappe Angebot bei dem Saisonwein.
Wenn Ress das Ergebnis der diesjährigen Weinlese beschreiben will, braucht er allerdings nicht auf das Phänomen des fehlenden Federweißen zurückzugreifen, der im Rheingau ohnehin eine untergeordnete Rolle spielt. Ress muss dazu bloß ein paar Stufen in den Keller seines Weingutes hinabsteigen. Zwei riesige Edelstahltanks stehen dort. Das Dröhnen, mit denen die Maschinen im Innern der beiden Behälter die gelesenen Trauben zu Most zerpressen, ist ohrenbetäubend. Rund 40 000 Liter schaffen die beiden Tankpressen am Tag - oder besser: Soviel könnten sie schaffen. Denn gebraucht wird ihre volle Kapazität in diesem Jahr nicht. „Das Erntevolumen ist im gesamten Rheingau um 60 Prozent geringer ausgefallen als im Vorjahr“, sagt der Winzer und deutet auf einen kleinen Holzbottich, der prominent in der Mitte des Raumes steht und nicht so recht zu den beiden modernen Stahltanks passen will. „Die Traubenmengen sind bei einigen Rebsorten so gering, dass wir teilweise auf alte Handpressen zurückgreifen müssen, um den Wein zu keltern - ein Glück, dass wir dieses Gerät noch antiquarisch gefunden haben.“
So wie Stefan Ress ergeht es in diesem Jahr fast allen deutschen Winzern. Wohin man auch schaut, ob in den Rheingau oder ins badische Land, ob in die Pfalz, an die Mosel oder nach Rheinhessen - die Traubenernte ist überall so gering ausgefallen wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Einzelne Weingüter vermeldeten Ernteeinbußen von bis zu 50 Prozent, gleichzeitig verliefen Lese und Weinproduktion in vielen Regionen wegen der geringen Traubenmengen deutlich aufwendiger als sonst. Für die Verbraucher bedeutet das bereits jetzt: Deutscher Wein wird teurer.
„Mengenmäßig scheint sich die alte Winzerregel zu bestätigen: Wenn man annimmt, es gibt wenig, dann gibt es noch weniger“, kommentiert das Deutsche Weininstitut (DWI) in Mainz die Bilanz des Weinjahres 2010. Erwartet wird die kleinste Ernte seit 25 Jahren. Knapp sieben Millionen Hektoliter dürfte die Erntemenge in diesem Jahr den DWI-Schätzungen zufolge betragen. Das ist ein Viertel weniger als noch im Vorjahr und liegt sogar ein Drittel unter dem Durchschnittsertrag der letzten Jahre.
Schuld daran sind wieder einmal die Wetterkapriolen des Jahres 2010.
Wie schon im Spätsommer, als Gemüse- und Obstbauern Alarm schlugen und wegen der schlechten Ernte bei Äpfeln, Kirschen und Kopfsalat höhere Preise forderten, beklagen nun auch die Winzer die ungünstige Witterung. Erst machte ein kalter Frühling den Weinbergen zu schaffen, weil Spätfrost im April bei einigen Sorten erhebliche Schäden verursachte und Blüten absterben ließ. Im Juni belasteten übergroße Trockenheit und Hitze die Rebstöcke. Der verregnete August schließlich bescherte den Trauben massenhaft Fäulnis. Um trotzdem eine gute Qualität ernten zu können, mussten die Winzer viele Fruchtstände radikal wegschneiden und damit auf Erntemengen verzichten.
In einigen Anbauregionen, vor allem an Mosel und Mittelrhein, kam dann auch noch der gefürchtete Hagelschlag hinzu, der eine Schneise der Verwüstung durch die Weinberge zog. „Derartige Schwankungen hatten wir noch nie“, bilanziert der Weinbauverband Mosel. Viele Weingüter haben dort weniger als die Hälfte der Vorjahresernte eingebracht. Entsprechend sind die Fasspreise für Moselweine bereits spürbar gestiegen. Ähnlich sieht es an der Nahe aus. Auch dort fallen die Preise für Riesling und Dornfelder bereits etwas höher aus. Teurere Preise und erwartete Lieferengpässe melden auch die Regionen Franken, Hessische Bergstraße und Mittelrhein. Im Rheingau sind die Fassweinpreise für Riesling bereits gestiegen, bei den Flaschenweinen wird mit einer Preiserhöhung von fünf Prozent gerechnet.
Trotzdem erwartet DWI-Chefin Monika Reule für die Branche insgesamt keine großen Preissprünge: „Diese sind angesichts des großen Wettbewerbs auf unserem international hart umkämpften Weinmarkt und der Preissensibilität der Verbraucher nicht realisierbar.“ Zumal die großen Importländer Frankreich und Spanien für 2010 relativ gute Ernteergebnisse vorweisen können. „Im kommenden Jahr wird es deshalb eine Herausforderung, die Marktanteile weitestgehend zu halten“, sagt Reule.
Hoffen können die Winzer dabei auf die gute Qualität des Jahrgangs 2010. Denn gerade die vergangenen goldenen Oktoberwochen haben den spät reifenden Rebsorten wie Riesling, Silvaner oder Burgunder noch reichlich Sonne beschert. „Wer Nerven gezeigt hat und die Trauben hängen ließ, für den könnte es daher noch ein Spitzenjahr werden“, sagt der Rheingauer Weinbau-Verbandspräsident Ress. Schwierig könnte es indes für die Liebhaber von Eiswein werden. Wegen der schlechten Erträge wagen es derzeit die wenigsten Winzer, noch viele Trauben bis zu den ersten wirklich kalten Frostnächsten im Spätnovember oder gar bis Anfang Dezember hängen zu lassen. Winzer Ress, der das Geschäft bereits seit 40 Jahren betreibt, macht da keine Ausnahme. „Wir haben die Trauben an ein paar Rebstöcken hängen lassen - wenn es funktioniert, gut, wenn nicht, wäre der Verlust noch zu verschmerzen“, sagt er. „In gewisser Weise ist Weinanbau immer auch ein Glücksspiel - und ein Geschäft, das definitiv Demut lehrt vor der Natur.“
Vor allem Riesling und Spätburgunder
„ Deutsche Weine wachsen in 13 Anbaugebieten. Das größte ist die in Rheinland-Pfalz gelegene Region Rheinhessen mit rund 26 400 Hektar Anbaufläche. Etwa ein Drittel aller in Deutschland erzeugten Weine stammen von dort. Auf Rang zwei liegt die benachbarte Pfalz mit einer Anbaufläche von knapp 23 000 Hektar und einem Anteil von rund 20 Prozent. Baden ist die drittgrößte Weinbauregion und das hierzulande wichtigste Anbaugebiet für Spätburgunder. Kleine Anbaugebiete sind die Ahr, Sachsen, Mittelrhein und die Hessische Bergstraße.
„ Arbeitsaufwendige Steillagen, in denen die Trauben oftmals nur von Hand gelesen werden können, weisen vor allem die Anbauregionen Mittelrhein und Mosel auf. Die Moselregion ist mit rund 9000 Hektar Anbaufläche zudem die fünftgrößte Weinbauregion Deutschlands.
„ Der Riesling ist mit einem Anteil von 22 Prozent an der Gesamtanbaufläche die am meisten produzierte weiße Rebstocksorte in Deutschland, gefolgt von Müller-Thurgau und Silvaner. Bei den roten Traubensorten überwiegt der Spätburgunder mit einem Anteil von 11,5 Prozent, gefolgt von Dornfelder und Portugieser. dpa